Start | Klezmer Musik | Protagonisten «B» | Belina
Belina (* 6. Februar 1925 in Sterdyń bei Treblinka, Polen; † 12. Dezember 2006 in Hamburg; eigentlich Lea-Nina Rodzynek) war eine jüdische Folk-Sängerin. Sie beherrschte fließend sechs Sprachen und sang ihre Lieder, Chansons und internationale Folklore in Originaltexten in 20 verschiedenen Sprachen und Dialekten.
Hintergrund-Informationen aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Leben und künstlerisches Wirken
Die Sängerin wurde als Lea-Nina Rodzynek in einem Dorf in der Nähe von Treblinka geboren. Früh zeigte sich ihr musikalisches Talent, das von den Eltern gefördert wurde. Die volkstümlichen und sakralen Gesänge in der Familie waren die ersten Impulse für ihre spätere künstlerische Tätigkeit.
Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen 1939 in Polen wurde der Großteil der Familie verschleppt und umgebracht, darunter ihre Eltern und die drei Brüder. Unter falschen Namen gelang der 16-Jährigen die Flucht, doch sie wurde aufgegriffen und als Zwangsarbeiterin in eine Hamburger Rüstungsfabrik untergebracht. Von polnischen Landsleuten denunziert, kam Lea-Nina ins Gefängnis Fuhlsbüttel. Dort schnitt sie sich aus Todesangst einen Teil des Daumens ab und entging somit der Deportation. Vom Lazarett aus floh sie mit Hilfe eines Pastors nach Lübeck, wo sie sich bis Kriegsende versteckt hielt. 1949 heiratete sie in Bergen-Belsen einen Auschwitz-Überlebenden. Sie bekamen den Sohn Michel, doch die Ehe hielt nicht lange. Lea-Nina zog 1953 zu einer Tante nach Paris, wo sie auch die französische Staatsbürgerschaft erhielt. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Kosmetikerin und arbeitete einige Monate im Schönheitssalon von Elizabeth Arden in Zürich. In der Schweiz nahm Lea-Nina Gesangsunterricht und lernte den Pianisten Tibor Kasics kennen. Es kam zu ersten Rundfunkaufnahmen unter dem Künstlernamen Nina Pola. Sie kehrte nach Paris zurück und hatte erste Engagements im Jüdischen Theater und im Russischen Kabarett. In Paris erhielt sie unter dem Künstlernamen „Belina“ einen ersten Schallplattenvertrag bei dem französischen Label President und veröffentlichte zwei EPs mit Ghettoliedern und jiddischer Folklore. 1960 traf sie zufällig im Zug einen Musikproduzenten.
Sie zog nach Köln, wo die Schallplattenfirma Odeon/Columbia sie als Schlagersängerin aufzubauen versuchten. Aber banale deutsche Schlager gefielen ihr nicht.
Sie machte als Schauspielerin von sich Reden und zeigte sich von einer ganz anderen Seite. In Brechts „Dreigroschenoper“ spielte sie 1960 die Rolle der Polly. Wenig später trat sie in dem Krimi Das Geheimnis der schwarzen Witwe an der Seite von O. W. Fischer, Karin Dor und Klaus Kinski auf.
1962 verhalf ihr der Regisseur Truck Branns zum internationalen Durchbruch. Der spätere „Hitparaden“-Macher widmete ihr seine erste Personality-Show Belina - Porträt einer Sängerin (es folgten u. a. Hildegard Knef, Françoise Hardy, Alexandra) und machte sie über Nacht berühmt.
Bei den Dreharbeiten zu Branss preisgekrönter Fernsehsendung lernte Belina den populären Gitarristen Siegfried Behrend (1933-1990) kennen, der als 30-Jähriger mehr als 1000 Kompositionen, größtenteils folkloristisch oder von alten Meistern inspiriert, vorweisen konnte. Er hatte bereits in Moskau, Rom und Madrid, aber auch außerhalb Europas umjubelte Konzerte gegeben und vor dem Schah in Persien, vor General Nasser in Ägypten und vor dem Kaiser in Tokio gespielt. Die beiden waren fortan Gäste in zahlreichen TV-Sendungen (Musik aus Studio B, Einer wird gewinnen). In Berlin veranstalteten sie 1963 eine Folk Session, die auf der LP 24 Songs and one Guitar live festgehalten wurde und sich 40 Wochen lang in den Charts hielt. 1964/65 unternahm das Duo im Auftrag des Goethe-Instituts und des Auswärtigen Amtes eine erste Welttournee, und die Kritik überschlug sich förmlich vor Begeisterung. Über Monate hinweg reisten die beiden um die Erde, mitunter in Regionen, an denen es nie zuvor Konzerte gegeben hatte (u. a. in Lambarene bei Albert Schweitzer) oder in Länder, die von politischen Unruhen erschüttert wurden. Belina und Siegfried Behrend repräsentierten als musikalische Botschafter in nie da gewesener Form die junge Bundesrepublik, ihre Langspielplatten mit Liedern aus aller Welt wurden zu Bestsellern.
Siegfried Behrend heiratete 1970 die Schauspielerin Claudia Brodzinska-Behrend und wandte sich mit ihr als Sängerin der avantgardistischen Musik zu. Belina traf die Trennung von ihrem Gitarristen schwer. Sie wechselte zur Plattenfirma Polydor und sang Songs aus dem Musical Anatevka und den Welthit Those Were The Days ein. Die Plattenindustrie versuchte Belina wieder - wie am Anfang ihrer Karriere - auf billige Schlager zu reduzieren. Das lehnte sie ab. Sie zog nach Südfrankreich, in die Künstlerkolonie St. Paul de Vence, wo auch Marc Chagall, James Baldwin, Curd Jürgens, Yves Montand und Simone Signoret in der Nachbarschaft wohnten. Belina nahm nur noch wenige Angebote an (u. a. mit dem Gitarristen Roberto Legnani). 1981 spielte sie mit dem Gitarristen Ladi Geisler prägender Sound-Geber des legendären Bert-Kaempfert-Orchesters, eine letzte sehr schöne, aber leider unbeachtete LP Meine Fantasie ein. Nach einem Abschiedskonzert 1993 zog sich Belina aus dem Showgeschäft zurück. Bis zu ihrem Tod lebte sie mit ihrem Sohn, dem Journalisten Michel Rodzynek , und ihren zwei Enkelkindern, Sharon und Marco, in Hamburg und erfreute sich an ihrer einzigartigen Souvenirsammlung aus aller Welt. Nach ihrem Tod 2006 fand sie auf eigenen Wunsch auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg ihre letzte Ruhe.
Filmbiograf Marc Boettcher resümierte Belinas Stimme und Wirken in einem TV-Interview mit den Worten: „Mich faszinierte an der Geschichte Belinas, dass sie als polnische Jüdin Deutschland repräsentierte nach dem Weltkrieg, in 17 Sprachen sang und in 120 Ländern war, um das Land der Täter, also Deutschland, zu repräsentieren. Sie hat zum Verzeihen aufgerufen und war die Stimme der Versöhnung. Für Belina war es wichtig zu zeigen, dass Musik eine universelle Sprache ist, die verbindet, fernab von Herkunft, Religion und Hautfarbe.“ (8. Februar 2020, RBB, Kowalski & Schmidt).
Videos, Downloads
*Immanuel Kant
Erstellt: 20211108
Aktualisiert: 20211111 | 20220308
Wikipedia: Diese Seite wurde zuletzt am 31. August 2021 um 19:20 Uhr bearbeitet.